Auch auf die Gefahr hin einen Mythos zu zerstören. Wenn Frauen alleine Unterwäsche kaufen gehen, hat das meist nicht viel mit Erotik zu tun.
Ich stehe vor einiger Zeit mit dem Vorhaben etwas Nettes aus Spitze, feinen Stöffchen, figurschmeichelnd, weiblich und sexy zu kaufen, in der Dessousabteilung eines großen Kaufhauses. Hier erhoffe ich mir eine große Auswahl an Farben, Formen und Größen und finde es leichter als im Internet auszuwählen. Meine durchaus kreative Phantasie stößt regelmäßig an ihre Grenzen, wenn ich mir meine Kurven in Dessous vorstellen soll, die auf den Bildern im Onlineshop an knochigen blassen Models ohne Brust und Hintern seltsam unweiblich aussehen. Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum gerade bei Unterwäsche die Wahl auf Models fällt, die theoretisch gar keinen BH bräuchten. Ich wohne im 3. Stockwerk und würde ja auch nie auf die Idee kommen mir einen Rasenmäher zu kaufen?
Eine komische Tatsache vielleicht mal noch ergänzt. In fast jedem Magazin kann man nachlesen, dass Frauen anscheinend grundsätzlich ihre BH’s eine Nummer zu klein kaufen – unverständlich eigentlich. Wir mogeln uns in zu kleine Hosen, nur damit wir uns und v.a. sonst niemandem eingestehen müssen, dass wir nicht mehr in die Jeans aus der Schulzeit passen. Und gerade die Brust schätzen wir zu klein ein, wo die ja eher größer gewünscht ist? Irgendwie verwunderlich…
Im Kaufhaus kommt jedenfalls sofort eine mütterliche Verkäuferin mit beeindruckendem Vorbau und wissendem Lächeln auf mich zugestochen. „Kann ich Ihnen helfen? Na suchen Sie mal lieber ein Körbchen größer, dann sticht der Bügel nicht so und es quetscht seitlich nicht alles raus, das will ja keiner sehen, gell?“
Wie…das will keiner sehen…da quetscht nichts…Moment mal. Nach wildem Gewusel um mich herum und einem Beratungsgespräch über meine nicht vorhandenen Vorstellungen über Farbe oder Form stehe ich mit einer beachtlichen Auswahl in der Umkleidekabine. Zumindest habe ich in den letzten 15 Minuten gelernt, was man diese Saison trägt, welche Farben zu meinem Teint passen und welche Formen meine Formen am besten formen.
Ich habe den ersten BH kaum angezogen, da reißt die Verkäuferin abrupt den Vorhang auf und packt beherzt zu. „Sind Sie schon so weit? Ich darf doch? Na dann schauen wir mal, ob die Größe passt.“ Ich bin ganz und gar nicht so weit und stottere nur überrumpelt ein paar halbsprachlose Brocken „äh…wie…ich…ääääähm…naja…also…Moment mal.“
Sie rüttelt aber schon links und rechts an den Bügeln herum, stellt die Träger straffer, prüft rabiat den Verschluss und hat meine Brüste in der Hand als würde sie die beiden wiegen wollen. Der Vorhang ist immernoch offen und im Hintergrund kann ich fremde Kunden sehen…und die mich…im BH…und Jeans…und Ringelsocken. Ich komme mir vor wie in einem Loriot-Sketch – wieder einmal in meinem Leben. Zu überrascht vom ungebetenen Übergriff stehe ich überfordert in der Kabine und lasse die Qualitätskontrolle über mich ergehen. Nicht ohne unweigerlich an den Arztbesuch vor zwei Wochen erinnert zu werden, bei dem auch schon eine Frau meine zwei besten Stücke in der Hand hatte. Die junge Frauenärztin war ähnlich beherzt und hemmungslos und hat alles kräftig abgeknetet. Was man nicht alles hinnimmt, um gesund und gut gekleidet durchs Leben zu gehen.
Ich frage mich, ob Männer das in ähnlicher Weise trifft? Mir fallen diverse lustige Geschichten aus dem Freundeskreis ein – zum Thema Musterung. Dabei ging es meist um eine gut aussehende junge Ärztin, Gummihandschuhe und den Spruch „Jetzt bitte mal kräftig husten“. Aber geht es Männern auch beim Shoppen wie mir gerade jetzt in der Umkleidekabine?
Die Vorstellung eines 34-Jährigen, der in einer Umkleidekabine steht und von einem Unterwäscheverkäufer „angegriffen“ wird amüsiert mich zutiefst. Ich stelle mir einen gut gekleideten selbstbewussten Verkäufer vor, der den Vorhang wegreißt und das Paket prüfend abtastet, daran rumruckelt und schaut, ob alles bequem verstaut ist. „Na, da haben wir uns aber in der Größe vergriffen, was? Ich glaube ich bring Ihnen da mal eine Nummer kleiner, schließlich soll das ja nicht rumrutschen wie eine Tüte weichgekochte Nudeln in der Kurve.“ Vielleicht gehen ja deswegen fast alle Männer so ungern shoppen und nutzen Onlineshopping statistisch gesehen sogar prozentual stärker als wir – weil sie in einer Umkleidekabine traumatisiert wurden…